Ellenstraße 38

Aus Kempedia
Zur Navigation springenZur Suche springen
Ellenstraße 38, 2013
Ellenstraße 38, ca. 1957


Haus Hamm

Hier wohnt seit ca. 153 Jahren die Familie Hamm. Das Grundstück Ellenstraße 38, das damals noch die Nummer Kempen 98 trug, wurde am 22. Juni 1871 von dem Kaufmann Carl Hamm (* 1830, + 1920) und seiner Ehefrau Maria Theresia Hubertina, geb. Schmitz (* 1833, + 1914), von den Erben der verstorbenen Maria Anna Francken ersteigert. Im Adressbuch von 1861 findet man unter der Nr. 98 noch den Eintrag Ferlings, Jos., Bürgermeister.[1] Ob Carl Hamm das bestehende Haus abgebrochen und das heutige Haus neu gebaut hat, oder ob das heutige Haus schon stand, und wie das zu dem Namen Anna Francken passt, ist nicht geklärt.

In einem später abgeschlossenen Darlehensvertrag vom 18. Februar 1872 zwischen den Eheleuten Hamm und dem Kempener Bäckermeister und Kleinhändler Franz-Josef Schmitz, dem Bruder von Maria Theresia, heißt es wörtlich:

"Zur Sicherheit für das bemeldete Kapital ... stellen die Schuldner Comparenten Eheleute Hamm ... ihrem eingangs gesagten Gläubiger Herrn Schmitz andurch zur ... Hypothek: ihr in der Stadt Kempen, Gemeinde gleichen Namens, auf der Ellenstraße unter Hausnummer 98, zwischen Heinrich Lingen und August Maassen gelegenes Wohnhaus und dessen Hintergebäulichkeiten, unterliegender Gebäudefläche, anhabendem Torwege, Hofraum, Gärtchen und sonstigen Zubehörungen, katastriert in der Flur 12 als Parzelle 490 mit 20 Ruthen 70 Fuß Fläche, dabei erklärend, diese Realität in öffentlicher am 22. Juni vorigen Jahres vor fungierendem Notar auf Anstehen der Benefiziarerben des zu Kempen verlebten Fräulein Maria Anna Francken abgehaltenen Versteigerung käuflich zu Eigentum erworben zu haben, und versichern, dass selbe diesen nach noch fortwährend ihres wahres und ausschließliches Eigentum und gänzlich frei sei von allen sonstigen Privilegien und Hypotheken, indem hierbei zugleich auch sie die Comparentin Ehefrau Hamm auf alle ihr als Ehefrau an derselben etwa zustehenden gesetzlichen Hypothekenrechte dem Gläubiger Herrn Schmitz gegenüber andurch unbedingten und vollständigen Verzicht leistet."

Carl Hamm betrieb in dem Haus einen Kolonialwarenhandel "en gros et en detail". Es wurde in die Denkmalliste der Stadt Kempen eingetragen am 17. Dezember 1991. Die Beschreibung lautet: "Dreigeschossiges Wohn- und Geschäftshaus, das 1. und 2. Obergeschoß hat eine reich gegliederte Putzfassade des 19. Jahrhunderts mit angedeuteter Bossierung und reichen Stuckgewänden um die Fenster herum. Von besonderem Interesse ist die Rolladenverblendung mit Jugendstilornamenten an den Fenstern des 1. Obergeschosses."[2] Hinter den Verblendungen waren früher keine Rollladen, sondern Jalousien mir Holzlamellen. Die zugehörigen Ketten waren aber völlig verrostet, so dass die Jalousien schon seit mehr als 60 Jahren nicht mehr genutzt werden konnten. Ende 2020 wurden dann wieder neue Jalousien aus Echtholz passend zu der alten denkmalgeschützten Front installiert, wodurch die Verblendungen nun wieder ihren Sinn haben und die Fassade wieder vollständig ist.

Kölnische Volkszeitung,
Zweites Blatt (Abend-Ausgabe),
Donnerstag, 2. Mai 1901, Nr. 397

Im Jahre 1859 hatte Carl Hamm das Unternehmen gegründet und sein Geschäft zunächst in der Ellenstraße 6 begonnen. Im Adressbuch von 1961 erscheint der Name aber noch nicht. Nach dem Neubau des Hauses Ellenstraße 38 zog er dann auf die andere Straßenseite. Zum Haus gehörten zwei dahinter gelegene geräumige Lagergebäude mit Gewölbekellern, ein Innenhof und eine separate Waschküche. Wahrscheinlich hat Carl Hamm mit zunehmender Vergrößerung seines Geschäftes Nachbargrundstücke nach und nach dazu gekauft. Jedenfalls erwarb er irgendwann auch das Haus Ellenstraße 39 mit dem dahinter gelegenen Grundstück. Durch das Tor und die Toreinfahrt an der Ellenstraße fuhr man mit den Lieferfahrzeugen geradeaus bis zur Laderampe an der Wand zum Nachbargrundstück an der Moosgasse. Oder man lud Waren ein, die auf dem Speicher des Hauses gelagert waren und über einen Flaschenzug an der Rückseite des Hauses befördert wurden. Die Dachgaube prägt heute noch die Rückseite des Gebäudes. Zum Teil erfolgte die Belieferung auch über den Nachbarhof zur Moosgasse. Im Jahre 1904 hatten die im Haus Ellenstraße 39 lebenden unverheirateten Töchter von Carl Hamm, Anna und Traudchen, vor dem Landgericht Kleve ein dazu erforderliches Fahrrecht durchgesetzt.

Carl Hamm starb im Juli 1920 im hohen Alter von 90 Jahren. Er übergab das Geschäft zuvor an seinen Sohn Franz Hamm, der es mit seiner Gattin Josefine, geb. Bolten aus Opladen, im Sinne seines Vaters weiterführte. Laut Adressbuch der Stadt Kempen aus dem Jahr 1912 verbrachte Carl Hamm senior die letzten Jahre im Nebenhaus Ellenstraße 39.

Familie Franz Hamm in den dreißiger Jahren: Karl, Ibeth, Bernhard und Marie-Theres, unten Franz und Josefine Hamm, geb. Bolten
Ellenstraße 38, 1979
Familie Hamm um 1950: obere Reihe: Peter Hubbertz und Marie-Theres, geb. Hamm, Gerta Germes, und Karl Hamm, Josefine Hamm, geb. Bolten und Franz Hamm, Ibeth, geb. Hamm, und Heinz Hegger, Carla, geb. Spielhoff, und Bernhard Hamm untere Reihe: Klaus Hamm (Sohn von Bernhard Hamm), Elisabeth und Dorothee Hubbertz und Renate Hamm (Tochter von Bernhard Hamm)
Gerta Hamm mit Ursula und Karl Georg vor dem Hanomag der Fa. Carl Hamm ca. 1958
Ellenstraße 38 mit Fam. Hamm (von links: Karl Hamm mit Karl Georg, Gerta Hamm mit Ursula sowie Josefine Hamm, geb. Bolten, ca. 1957

Franz und Josephine hatten fünf Kinder: Bernhard, Joseph, Karl, Marie-Theres und Elisabeth, die aber stets nur Ibeth genannt wurde. Bernhard war Rechtsanwalt und hatte vor dem Krieg seine Kanzlei auf der Thomasstraße 16, wohnte aber noch auf der Ellenstraße.[3] Er war ein begnadeter Pianist, der nicht nur viele Kempener Veranstaltungen musikalisch prägte. Joseph wurde nur vierzehn Jahre alt und starb einen Tag nach seinem Großvater an Darmverschlingung. Nach dem Krieg wohnte auch Ibeth noch kurze Zeit gemeinsam mit ihrem Mann Heinz Hegger in zwei Zimmern im 2. Stock auf der Ellenstraße. Im ersten Stock hatten Franz und Josephine ihre Wohnräume. Im Erdgeschoss des Anbaus hatten noch bis in die fünfziger Jahre Karl und seine Frau Gerta ein kleines Wohnzimmerchen und eine kleine Küche. Franz Hamm starb am 19. November 1953 im Alter von 82 Jahren, seine Frau Josephine neun Jahre später am 16. September 1964 im Alter von 86 Jahren.

Karl Hamm war erst 1948 aus französischer Gefangenschaft zurückgekehrt. Er hatte in Freiburg, Köln und Königsberg Volkswirtschaft studiert und vor dem Krieg bei der Deutschen Revisions- und Treuhand AG gearbeitet. Da aber niemand sonst zur Verfügung stand, versprach er seinem Vater, das elterliche Geschäft fortzuführen. Nach der Hochzeit mit Gerta Germes aus Hinsbeck im August 1951 hatte er dabei fachkundige Unterstützung. 1957 wurde aber der Großhandel aufgegeben, dafür aber nach einem großen Umbau das erste und damals größte Lebensmittel-Selbstbedienungsgeschäft in Kempen eröffnet. Bis dahin wurden fast alle Geschäfte noch als reine Bedienungsgeschäfte geführt. Bei dem Umbau wurde die Front des Hauses modernisiert und das im Erdgeschoss gelegene Wohnzimmer dem Laden zugeschlagen. Wenige Jahre später wurde auch das Büro hinzugenommen, so dass die gesamte Erdgeschossfläche des Haupthauses für das Lebensmittelgeschäft zur Verfügung stand. Leider gingen bei dem Umbau aber auch die harmonische Struktur und die schönen Stuck-Ornamente im Erdgeschoss verloren, so dass das Erdgeschoss nicht mehr mit dem restlichen Teil des Hausen harmonisierte. Zum Fortbestand des Geschäftes in einer schon damals umkämpften Branche war der Umbau aber existenznotwendig und damit unvermeidlich. Karl Hamm wurde 1964 noch Lehrer an der Hauptschule in Oedt. Danach wurde das Geschäft vorrangig von seiner Gattin Gerta Hamm geführt, sicher auch mit reger Unterstützung der Kinder Ursula und Karl Georg, später auch von Sohn Rainer. 1976 wurde der Geschäftsbetrieb unter dem zunehmenden Druck der aufkommenden Discounter beendet. Es gab zwar niemals Verluste. Der Gewinn des Geschäftes stand aber bei den minimalen Handelsspannen in der Lebensmittelbranche in keinem Verhältnis zum Aufwand.

Das Ladenlokal stand dann einige Monate leer und wurde anschließend vermietet. Zunächst versuchten die Eheleute Collins kurze Zeit mehr oder weniger erfolglos, die Kempener für englische Spezialitäten zu begeistern. Nicht viel erfolgreicher verliefen die Aktivitäten von Wolfgang Gather und seiner Lebensgefährtin beim Handel mit Makramee-Bedarf. Im Mai 1979 eröffnete dann unter dem Namen Musik-Bazar ein Filialist aus dem Ruhrgebiet (Wattenscheid) ein Plattengeschäft, das einige Jahre Bestand hatte. Anschließend startete Monika Schumacher aus Kempen mit ihrem Geschäft für Kindermoden und Kinderwagen, das sie bis Juni 2003 und damit etwa zwanzig Jahre betrieb. Danach lag das Ladenlokal wieder einige Monate leer, weil Rainer und Christiane Hamm in enger Abstimmung mit dem Denkmalamt der Stadt Kempen den Rückbau der Fassade in Angriff nehmen wollten, solange der Laden nicht vermietet war. Von Anfang 2004 bis Mitte 2005 dauerten dann die Bauarbeiten. Die in den fünfziger Jahren zerstörte Stuckfassade wurde dabei wieder weitgehend in den alten Stand versetzt - nicht exakt, aber so, dass heute der untere Teil der Fassade wieder mit dem oberen Teil harmoniert. Gleichzeitig erfolgte eine umfangreiche Renovierung und Modernisierung des Ladenlokals. Im September 2005 eröffnete dann Ulrike van de Rydt in den neuen Geschäftsräumen das Damenmodegeschäft Moda Donna. Im August 2012 zog sie mit dem Geschäft zur Judenstraße, und Marion Breuer te Heesen eröffnete ein sehr ansprechendes Geschäft unter dem Namen decoration, in dem sie Wohn- und Küchenaccessoires, Gewürze und vieles mehr anbot. Ende August 2016 zog sie mit ihrem Geschäft zur Kuhstraße. Anschließend eröffnete Hans-Ferdinand Klamt mit Unterstützung seiner Frau Evelyn Klamt-Büren unter dem Namen Kompass ein Geschäft für Glasdekor und passende Accessoires, das er aber schon Mitte 2018 wieder schließen musste.

Heute ist hier unter dem Namen Paradise-Fashion ein Geschäft für Damenoberbekleidung von Jennifer Kuhnes, die in Krefeld-Uerdingen bereits erfolgreich ein ähnliches Geschäft betreibt.



Einträge in alten Adressbüchern

1879

  • Hamm, Carl, Colonial- und Spezereiwaaren-Handlung, unter Kempen, Haus-Nr. 98

1898

  • Hamm, Carl, Colonialwarenhandlung

1912

  • Hamm, Franz, Kolonialw.-Handlg., Fernspr. 96

1925

  • Hamm, Franz, Kolonialwaren, Tel. 196 (Anm.: Richtig ist vielleicht auch 1925 die Nummer 96 oder 696)

1930/31

  • Hamm, Franz, Kol.-Waren-Händler

1937

  • Hamm, Carl, Firma, Kolonialwaren-Groß- und Kleinvertrieb, gegr. 1859, Tel. 696
  • Hamm, Franz, Kaufmann
  • Hamm, Karl, Diplom-Volkswirt
  • Hamm, Bernhard, Rechtsanwalt

1959

  • Hamm, Carl, Lebensmittel, seit 1859, F. 696
  • Hamm, Josefine, o. B.
  • Hamm, Karl, Dipl.-Volksw., F. 696

Alte Bilder vom Geschäft


Rückbau der Front

"O...3.."

Quellen

  1. Adreßbuch vom Regierungsbezirk Düsseldorf, ca. 1861, S. 287
    Totenzettel: Joseph Ferlings, *5. Mai 1805 in Xanten, †20. Januar 1881 in Kempen, Heirat am 10. Juni 1840 mit Anna Marg. Elis. Peerbooms, "Von 1851-1869 war der Verstorbene Bürgermeister von Kempen und Schmalbroich und nach dem Rücktritt von diesem Amte eine Reihe von Jahren Präsident des Kirchenvorstandes."
  2. Limburg, Bernd, Denkmale in der Stadt Kempen
  3. Adressbuch für den Kreis Kempen-Krefeld, 1937: Hamm, Bernh., Rechtsanwalt, Thomasstraße 16; Privat: Ellenstr. 38