Judenstraße 5

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Haustüre Haus Hall.jpg
Haus Hall 2011
Haus Hall 1930

Judenstraße 5 "Haus Hall"

Die Judenstraße 5, "Haus Hall", ist in der Denkmalliste eingetragen.

Es handelt sich um ein repräsentatives, bürgerliches Wohnhaus des 18. Jhs. in drei Etagen mit ausgebautem Mansarddach. Die Fassade ist fünfachsig gegliedert und erfährt ihre horizontale Unterteilung durch zwei Putzgesimse zwischen den Geschossen und durch ein kräftiger ausgeführtes Traufgesims. Die Traufe selbst ist durch Akantuskonsolen nochmals akzentuiert. Sämtliche Fenster sind den alten Vorbildern entsprechend erneuert, die mehrfach profilierten Fenstergewände bestehen aus Holz. Der gelbe Anstrich der Fassade ist entsprechend dem historischen Befund gewählt worden.

Das Haus besitzt eine reich geschnitzte Rokokotür, die zu den schönsten in der Stadt Kempen gehört. Die heutige Nutzung des Erdgeschosses als Ladenlokal hat gleichwohl nicht zum Einbau eines großflächigen Schaufensters geführt. Im Erdgeschoss sind weiterhin die alten Fenstergrößen erhalten geblieben, in den Oberlichtern auch die ursprüngliche Sprossenteilung.

Beim Durchbau des Hauses in den 80er Jahren ließ sich ablesen, dass es durch die Zusammenfassung zweier kleinerer, an dieser Stelle stehender Häuser entstanden ist, gleichzeitig auch in seiner Bautiefe erweitert worden ist.

1764 wurde das Gebäude von dem Kempener Baumeister Friedrich Vogts für seinen Freund Peter Matthias Hall gebaut, der 20 Jahre zuvor eine Wachsbleicherei in Kempen errichtet hatte. Aus diesem Unternehmen ging der älteste Großbetrieb der Stadt hervor - die Kerzenfabrik Franz Theodor Foerster.

Vom heiteren Stil jener Zeit - dem Rokoko - zeugen die beschwingten Linien der Türumrahmung und die zierlich geschmückte Haustür selbst. Die nachträgliche Vergrößerung der Fenster im Erdgeschoss hat die Anmut der Fassade nur wenig gemindert.[1]

In den 1950er Jahren hatte die "Drogerie Helm" im Paterre ihr Domizil, die dann in die Engerstraße/Ecke Kirchstraße wechselte. Dieter Persson schreibt in seinen Erinnerungen an Kempen in seiner Kindheit:

"Drogerie Helm
Auf der Judenstraße, gegenüber der Bockengasse, befindet sich die Drogerie Helm. Das große weiße Gebäude steht imposant neben Jansens Garten. Im Vorderhaus zur Straßenseite hin befindet sich die Drogerie. Im ersten und zweiten Stock sind Wohnungen ... Eine große barocke Tür lädt zum Eintritt ein, wo einem eine gemütliche Atmosphäre entgegenstrahlt. Es riecht leicht nach Hustenbonbons und Kräutern. Rechts, vom Flur ausgehend, liegt das Geschäft. Durch die Ladentür schaut man auf die Theke. Dahinter stehen Regale mit Flaschen und Tinkturen. Hinter der Theke steht Herr Helm, groß und behäbig, mit einem weißen Kittel angetan, das schwarze Haar glatt nach hinten gekämmt."[2]

Muckefuck-Aufkleber Judenstr 5.jpg

Ab dem 15. November 1975 war im linken Teil des Erdgeschosses das legendäre Café Muckefuck von Kalla Wefers. Bis 1982, als Wefers dann auf der Peterstraße das Kalahari eröffnete, verbrachten in der urigen Kneipe viele Schüler und Studenten einen Großteil ihrer Freizeit. Hier war der Ursprung der Kempener Außengastronomie und auch des inzwischen weit verbreiteten und beliebten Heiligabend-Frühschoppens.[3] Die April-Ausgabe 2017 von KempenKompakt widmet dem Lokal einen ausführlichen Bericht, der mit Genehmigung von Kalla Wefers auf der Seite des Muckefuck vollständig zitiert ist.

Im rechten Teil war zu dieser Zeit vorübergehend das Antiquitätengeschäft von Mirabel Bienefeld, bevor sie zur Ellenstraße 2 zog. Später betrieb der stets musikbegeisterte Kalla Wefers in dem kleinen Raum rechts neben dem Muckefuck vorübergehend einen Plattenladen.

Der damalige Eigentümer Willi Geks von der Schulstraße hat das Haus dann verkauft. Um 1994 (???) wurde es von Grund auf umgebaut. Das Ladenlokal und die darüber liegenden Wohnungen wurden renoviert. Im ersten Stock entstanden Räume für eine Urologiepraxis. In den folgenden Jahren beherbergte das vergrößerte Ladenlokal an der Judenstraße unter anderem einen Modeladen von Benetton und den Friseursalon von Hartmut Höninger. Von 2003 bis Ostern 2009 war im Ladenlokal die Fa. Lieguas (den Namen sollte man rückwärts lesen!) mit Deko und Accessoires fürs häusliche Flair - von der Buddha-Figur bis zum Kolonialstil-Tischchen. Von Juni 2009[4] bis etwa 1913 war im Haus ein Geschäft für stilvolle Wohnaccessoires von Bernd und Evi Appenzeller. Anschließend beherbergte das alte Ladenlokal das Delikatessengeschäft Held, das aber auch Anfang 2016 schon wieder den Betrieb an der Judenstraße einstellte. Nach einigen Monaten Leerstand ist heute an der Stelle des alten Café Muckefuck wieder Gastronomie eingekehrt, nämlich das überwiegend vegetarische Café Fiedler - Kuchen und Kohlrabi, das Bio-, Fair-Trade- und regionale Produkte anbietet.

Oben befinden sich Wohnungen und Büros. An der Stelle der früheren Arztpraxis ist heute ein Institut für Lernbegleitung.[5]


Die Zeitschrift KempenKompakt widmet dem Haus in der April-Ausgabe 2017[6] im Zusammenhang mit dem Artikel über das Cafe Muckefuck zwei interessante Seiten mit dem nachfolgenden Text.
Wegen der Bilder ist ein Besuch des Original-Artikels empfehenswert.

KERZEN AUS KEMPEN BRANNTEN SOGAR IN SÜDAMERIKA

Das Haus Hall, eines der schönsten spätbarocken Bürgerhäuser in der Altstadt, ist die Keimzelle eines der bedeutendsten Familienunternehmen unserer Stadt.

Was als erstes ins Auge springt, wenn man vor dem Haus Judenstraße 5 steht, ist die wunderbare Eichentür. Vor allem das schon ins Rokoko übergehende Oberlicht und ihre liebevollen Details machen diese Tür zu einer ,schönsten in Kempen. Der dreigeschossige Bau, mit seinen Sprossenfenstern in den beiden Obergeschossen, stammt aus dem Jahr 1764. Entworfen hat ihn der für die Kempener Baugeschichte so wichtige Friedrich Vogts, von dem zum Beispiel auch das Haus Horten auf der Kuhstraße, die heutige Sparkasse also, stammt. Der Bau auf der Judenstraße war eine Arbeit für Vogts‘ Freund Peter Matthias Hall, der im Jahr 1744 aus dem niederländischen Boxter nach Kempen gekommen war und hier auf der Judenstraße eine Wachsbleicherei eingerichtet hatte. Wachsbleicherei ist ein schon aus der Antike bekanntes Verfahren, das dem ursprünglich gelben Bienenwachs ein weißes oder elfenbeinfarbiges Aussehen gibt, um daraus dann weiße Kerzen herstellen zu können. Nach Peter Matthias Hall trägt das Gebäude bis heute seinen Namen: Haus Hall. Tatsächlich verbergen sich hinter dem Haus Judenstraße 5 allerdings zwei Häuser, die durch den Entwurf von Friedrich Vogts im Jahr 1764 zu einem großen Haus vereinigt wurden.

Die Kerzenfabrik Franz Theodor Foerster

Halls Tochter Anna Katharina Klara heiratete im Jahr 1749 Franz Theodor Foerster, den Sohn eines Kölner Wachsbleichers. Dieser Sohn führte beide Unternehmen zusammen, der Sitz wurde Kempen und der Name der Firma lautete fortan: Kerzenfabrik Franz Theodor Foerster. Über zwei Jahrhunderte war diese Kerzenfabrik das wohl bedeutendste Familienunternehmen in Kempen. Schon im 18. Jahrhundert verkaufte die Firma ihre Kerzen bis nach Frankreich. Nach dem Tod des Firmenchefs übernahm im 19. Jahrhundert dessen jüngster Sohn, ebenfalls Franz Theodor genannt, das Unternehmen. Damals wurde die Fertigung auch an den Spülwall verlegt, auf der Burgstraße entstand das Haus Foerster, etwa da, wo heute die Volksbank ihren Platz hat. Alte Kempener erinnern sich noch, dass sich links vom Haus Foerster eine Toreinfahrt als Zufahrt zum Spülwall befand.

Die Familie stellte Landrat und den Bürgermeister

Diese Generation der Familie Foerster spielte nicht nur als Unternehmer, sondern auch in der Politik eine wichtige Rolle: Franz Theodor Foerster war von 1840 bis 1857 Bürgermeister in Kempen, sein älterer Bruder Max Anton Foerster war von 1830 bis 1876 Landrat des Kreises Kempen. Beide Brüder waren politisch wohl als national-konservativ zu verorten. Einen großen Aufschwung nahm die Kerzenfabrik unter Franz Theodors Sohn Heinrich Foerster, der das Erbe im Jahr 1864 übernahm. Er stellte die noch überwiegend handwerkliche Produktion auf eine fabrikmäßige Herstellung um. Damit wurde das Unternehmen zu einer der bedeutendsten Kerzenfabriken Deutschlands. Heinrich Foerster war mit Kempener Kerzen auf den Weltausstellungen in Paris und Wien vertreten, er belieferte fast alle Staaten Europas und darüber hinaus auch Märkte in Südamerika. Nach seinem frühen Tod führte Heinrich Foersters Witwe Johanna das Unternehmen. Deren Tochter heiratete dann Heinrich Nacken aus Aachen, der die Firma schließlich im Jahr 1934 an ihren gemeinsamen Sohn Kurt Nacken weitergab. Kurt Nacken lotste die Kerzenfabrik mit Erfolg durch die nicht leichten Kriegs- und Nachkriegsjahre, musste aber 1968 das Unternehmen nach Montabaur verkaufen, da er keine leiblichen Erben hatte.


  1. kempen.de, Altstadtrundgang
  2. Persson, Dieter, Kempen - Ende der 50er Jahre, 1990, S. 43f.
  3. WZ-Newsline, 21.12.2011
  4. WZ-Newsline, 4.9.2009
  5. vgl. WZ-Newsline, 17. April 2009
  6. KempenKompakt, 04/2017, S. 26ff.



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