Muckefuck: Unterschied zwischen den Versionen
Rainer (Diskussion | Beiträge) |
Rainer (Diskussion | Beiträge) |
||
Zeile 10: | Zeile 10: | ||
(Foto: Fam. Wefers, in: WZ, 3.2.2023)]]'''Wer heute an einem Sommerabend durch Kempen geht, den laden in den Altstadtgassen oder auch am Markt ungezählte Freiluftterrassen vor den Lokalen ein. Was uns heute so selbstverständlich scheint und nicht zuletzt der historischen Altstadt auch ein Stück ihres mediterranen Flairs gibt, hat auch eine Geburtsstunde: Am Ostersonntag 1977 standen plötzlich Tische und Stühle vor dem „Café Muckefuck“ im Haus Hall auf der Judenstraße. Ein Blick zurück auf die kurze Geschichte dieser legendären Kneipe und zugleich auf die lange Geschichte dieses barocken Patrizierhauses.''' | (Foto: Fam. Wefers, in: WZ, 3.2.2023)]]'''Wer heute an einem Sommerabend durch Kempen geht, den laden in den Altstadtgassen oder auch am Markt ungezählte Freiluftterrassen vor den Lokalen ein. Was uns heute so selbstverständlich scheint und nicht zuletzt der historischen Altstadt auch ein Stück ihres mediterranen Flairs gibt, hat auch eine Geburtsstunde: Am Ostersonntag 1977 standen plötzlich Tische und Stühle vor dem „Café Muckefuck“ im Haus Hall auf der Judenstraße. Ein Blick zurück auf die kurze Geschichte dieser legendären Kneipe und zugleich auf die lange Geschichte dieses barocken Patrizierhauses.''' | ||
− | Der Ostersonntag 1977, wir schreiben den 10. April, war ein sonniger Frühlingstag. So sonnig, dass es die Strahlen am späten Morgen sogar bis in den sonst eher dunklen Schankraum schafften. „Und dann war das eine spontane Idee der Trinkgemeinschaft, die sich da am Ostersonntag im Muckefuck getroffen hatte“, erinnert sich Kalla Wefers an die Ereignisse, die Kempener Gastronomie-Geschichte schreiben sollten. Die Gäste trugen Tische und Stühle ins Freie, machten es sich in der Sonne bequem und ließen sich Kaffee oder AltBier servieren. Die erste Freiluftterrasse in Kempen also. Vom „Hauch Düsseldorfer Altstadt“ schrieb tags darauf die RP, und die WZ wollte auf der Judenstraße gar eine „Atmosphäre à la Paris“ ausgemacht haben. Die Sache hatte nur einen Haken: Es fehlte jede behördliche Genehmigung. Da die Resonanz so überwältigend war, wollte Wirt Wefers seine Terrasse legalisieren. Aber: „Das war gar nicht so einfach. Kein Mensch im Amt wusste so richtig damit umzugehen, denn schließlich hatte es das in Kempen ja noch nicht gegeben.“ Ordnungsamtsleiter Helmuth Ohletz regelte am Ende die Angelegenheit und begrenzte die Schankerlaubnis auf 22 Uhr. Wenig später zogen weitere Gaststätten in Kempen nach, und bald standen auch auf dem Buttermarkt Tische und Stühle vor den Lokalen. Aber natürlich gab es auch Proteste wegen des Lärms, und am Ende ging die Sache sogar bis vor Gericht in Krefeld. „Um 21 Uhr der letzte Schluck vorm Muckefuck“ reimte nach der zwar einschränkenden, aber positiven Entscheidung in Krefeld RP-Redakteur Jörg Basfeld seine Schlagzeile. Und nahm im Bericht schon weitsichtig vorweg, was bis heute vor Ämtern und Gerichten nach wie vor umstritten ist: Es werde wohl auch künftig darum gehen, „was letztendlich im pittoresken Thomasstädtchen schutzwürdiger zu sein hat: gastronomisches Interesse oder Ruhebedürfnis braver Bürger“. | + | Der Ostersonntag 1977, wir schreiben den 10. April, war ein sonniger Frühlingstag. So sonnig, dass es die Strahlen am späten Morgen sogar bis in den sonst eher dunklen Schankraum schafften. „Und dann war das eine spontane Idee der Trinkgemeinschaft, die sich da am Ostersonntag im Muckefuck getroffen hatte“, erinnert sich [[Kalla Wefers]] an die Ereignisse, die Kempener Gastronomie-Geschichte schreiben sollten. Die Gäste trugen Tische und Stühle ins Freie, machten es sich in der Sonne bequem und ließen sich Kaffee oder AltBier servieren. Die erste Freiluftterrasse in Kempen also. Vom „Hauch Düsseldorfer Altstadt“ schrieb tags darauf die RP, und die WZ wollte auf der Judenstraße gar eine „Atmosphäre à la Paris“ ausgemacht haben. Die Sache hatte nur einen Haken: Es fehlte jede behördliche Genehmigung. Da die Resonanz so überwältigend war, wollte Wirt Wefers seine Terrasse legalisieren. Aber: „Das war gar nicht so einfach. Kein Mensch im Amt wusste so richtig damit umzugehen, denn schließlich hatte es das in Kempen ja noch nicht gegeben.“ Ordnungsamtsleiter Helmuth Ohletz regelte am Ende die Angelegenheit und begrenzte die Schankerlaubnis auf 22 Uhr. Wenig später zogen weitere Gaststätten in Kempen nach, und bald standen auch auf dem Buttermarkt Tische und Stühle vor den Lokalen. Aber natürlich gab es auch Proteste wegen des Lärms, und am Ende ging die Sache sogar bis vor Gericht in Krefeld. „Um 21 Uhr der letzte Schluck vorm Muckefuck“ reimte nach der zwar einschränkenden, aber positiven Entscheidung in Krefeld RP-Redakteur Jörg Basfeld seine Schlagzeile. Und nahm im Bericht schon weitsichtig vorweg, was bis heute vor Ämtern und Gerichten nach wie vor umstritten ist: Es werde wohl auch künftig darum gehen, „was letztendlich im pittoresken Thomasstädtchen schutzwürdiger zu sein hat: gastronomisches Interesse oder Ruhebedürfnis braver Bürger“. |
=====Jeden Morgen lief die Kaffee-Maschine heiß===== | =====Jeden Morgen lief die Kaffee-Maschine heiß===== |
Aktuelle Version vom 3. Februar 2023, 18:37 Uhr
Aus KempenKompakt, 04/2017, S. 23ff.:
(Wegen der Bilder in dem Artikel ist ein Besuch der Seite empfohlen.)
ALS DAS „CAFÉ MUCKEFUCK“ IN KEMPEN GESCHICHTE SCHRIEB
Wer heute an einem Sommerabend durch Kempen geht, den laden in den Altstadtgassen oder auch am Markt ungezählte Freiluftterrassen vor den Lokalen ein. Was uns heute so selbstverständlich scheint und nicht zuletzt der historischen Altstadt auch ein Stück ihres mediterranen Flairs gibt, hat auch eine Geburtsstunde: Am Ostersonntag 1977 standen plötzlich Tische und Stühle vor dem „Café Muckefuck“ im Haus Hall auf der Judenstraße. Ein Blick zurück auf die kurze Geschichte dieser legendären Kneipe und zugleich auf die lange Geschichte dieses barocken Patrizierhauses.
Der Ostersonntag 1977, wir schreiben den 10. April, war ein sonniger Frühlingstag. So sonnig, dass es die Strahlen am späten Morgen sogar bis in den sonst eher dunklen Schankraum schafften. „Und dann war das eine spontane Idee der Trinkgemeinschaft, die sich da am Ostersonntag im Muckefuck getroffen hatte“, erinnert sich Kalla Wefers an die Ereignisse, die Kempener Gastronomie-Geschichte schreiben sollten. Die Gäste trugen Tische und Stühle ins Freie, machten es sich in der Sonne bequem und ließen sich Kaffee oder AltBier servieren. Die erste Freiluftterrasse in Kempen also. Vom „Hauch Düsseldorfer Altstadt“ schrieb tags darauf die RP, und die WZ wollte auf der Judenstraße gar eine „Atmosphäre à la Paris“ ausgemacht haben. Die Sache hatte nur einen Haken: Es fehlte jede behördliche Genehmigung. Da die Resonanz so überwältigend war, wollte Wirt Wefers seine Terrasse legalisieren. Aber: „Das war gar nicht so einfach. Kein Mensch im Amt wusste so richtig damit umzugehen, denn schließlich hatte es das in Kempen ja noch nicht gegeben.“ Ordnungsamtsleiter Helmuth Ohletz regelte am Ende die Angelegenheit und begrenzte die Schankerlaubnis auf 22 Uhr. Wenig später zogen weitere Gaststätten in Kempen nach, und bald standen auch auf dem Buttermarkt Tische und Stühle vor den Lokalen. Aber natürlich gab es auch Proteste wegen des Lärms, und am Ende ging die Sache sogar bis vor Gericht in Krefeld. „Um 21 Uhr der letzte Schluck vorm Muckefuck“ reimte nach der zwar einschränkenden, aber positiven Entscheidung in Krefeld RP-Redakteur Jörg Basfeld seine Schlagzeile. Und nahm im Bericht schon weitsichtig vorweg, was bis heute vor Ämtern und Gerichten nach wie vor umstritten ist: Es werde wohl auch künftig darum gehen, „was letztendlich im pittoresken Thomasstädtchen schutzwürdiger zu sein hat: gastronomisches Interesse oder Ruhebedürfnis braver Bürger“.
Jeden Morgen lief die Kaffee-Maschine heiß
Als diese Schlacht geschlagen war, existierte das „Café Muckefuck“ hinter der wunderbaren Eichentür von 1764 im Haus Hall auf der Judenstraße 5 schon gut anderthalb Jahre. Am 15. November 1975 hatte es Kalla Wefers, damals 28 und Student der Betriebswirtschaft, gemeinsam mit Sabine Brenk eröffnet. Der Name „Muckefuck“ sollte dabei „so ein bisschen an die alte Zeit erinnern“ (Wefers). Was es natürlich im „Café Muckefuck“ nicht gab, war eine Tasse Muckefuck. Allerdings lief die Kaffeemaschine jeden Morgen heiß, denn das Café entwickelte sich schnell zu einer Schulaußenstelle des Thomaeums und der Mülhausener Liebfrauenschule. Regelmäßig ab 9 Uhr verbrachten die Schüler hier ihre Freistunden, erledigten letzte Hausaufgaben oder bereiteten sich auf Klassenarbeiten vor. Am Abend löste dann das Bier den Kaffee ab. Gatzweilers Alt, als 20-Liter-Fass von Kalla Wefers auf den Bock gewuchtet und angestochen, war die gängige Ware. Nachschub, und der war mehrfach am Abend erforderlich, kam aus dem nahegelegenen Kühlhaus der Metzgerei Geks auf der Alten Schulstraße, wo die Fässer lagerten. Nicht zuletzt auch musikalisch war das „Muckefuck“ ein Vorreiter. „Schmackes Brass“ spielten mehrfach vor und im Lokal, und an den Wochenenden stand das „Muckefuck“ regelmäßig Bands offen, deren Namen heute kaum einer mehr kennt. Auf dem schwarzen Teller drehten sich die damals üblichen Langspielplatten, mehr als 150 Rock-, Soul- oder Jazzplatten hatte der Wirt im Regal stehen. „Damals gab es keine Sticks oder CD, nur den Longplayer aus Vinyl“, erinnert sich Wefers. Hilversum 3 war damals der Kultsender. Und: „Wenn da ein neuer Hit kam, dann hatten wir den zwei Tage später.“
Heiligabend-Frühschoppen mit Wunderkerzen und Bing Crosby
Das Jahr 1975 war auch die Geburtsstunde des legendären Heilig-Abend-Frühschoppens im „Café Muckefuck“. „Alle Jahre wieder so gefüllt wie eine großzügig gestopfte Weihnachtsgans“, schrieb später die WZ. Das Cafe wurde an jedem 24. Dezember so auch zum Treffpunkt vieler Kempener, die von auswärts zu ihren Familien anreisten und sich vor dem eigentlichen Fest auf der Judenstraße trafen. Der Bing-Crosby-Klassiker „I‘m Dreaming of a White Christmas“ wurde Jahr für Jahr zum Höhepunkt jeder Weihnachtsfeier: „Dann zückten alle ihre Wunderkerzen und alle sangen mit, das war schon ergreifend“ so Wefers. Eine Tradition, die später mit dem Wirt ins „Kalahari“ wanderte und heute in vielen Altstadtkneipen fortgeführt wird. Selbst sportlich schrieb das „Muckefuck“ in diesen Jahren Geschichte. Die von Kalla Püllmanns trainierte zweite Mannschaft von Thomasstadt, mit einem Durchschnittsalter von nur 20 Jahren, stieg mit 44:4 Punkten in die Kreisliga B auf. Deren „Festung“ war damals das „Muckefuck“. Darunter waren auch Studenten, die nicht die Zeit für einen regelmäßigen Trainingsbetrieb hatten, aber dennoch sehr talentierte Fußballer waren.
Wie das „Muckefuck“ zur Legende wurde
Natürlich wuchs der ohnehin legendäre Ruf des „Café Muckefuck“ - denn so ist halt das Leben - erst so richtig in ungeahnte Höhen nach seinem Ableben. Sogar vom „ersten Kempener Literaten-Cafe“ war zuletzt bei der Einweihung der erneuerten Judenstraße die Rede. Es war wohl tatsächlich weder das erste, noch gab es ein zweites. Doch gelegentlich erreichten die Debatten im verqualmten Thekenraum ein derart hohes Niveau, dass mancher schon beobachtet haben wollte, wie sich die niedrige Decke um einige Zentimeter hob. Kein Wunder, zählte zu den Gästen doch mit Klaus „Klotz“ Höltken, dem schon verstorbenen Günter Koth und Wolfgang Lochner eine starke Abordnung der juristischen Fakultäten der Unis Köln und Bonn. Auch Aachen, RWTH und FH, war durch Rainer Hamm, Ulli „Erbo“ Hüpen, Jan Ruland und Udo Thelen mit einer beachtlichen Fraktion vertreten. Und zur Stamm-Belegschaft zählte auch der schon erwähnte RP-Redakteur Jörg Basfeld. Sein WZ-Kollege Christian Gallhof verbrachte gefühlt ganze Arbeitstage hinter der barocken Eichentür und verfügte dabei sogar über eine Art „rotes Telefon“ zur Sekretariats-Chefin Ingrid Klünder. Der begnadete Wort-Artist Yussuf Birker gehörte ebenfalls zum Inventar. Birker war auch der Geburtshelfer einer ebenso anspruchsvollen wie kurzlebigen literarischen Initiative im „Café Muckefuck“: Mit Volker Rossenbach und dem WZ-Redakteur Eberhard Fehre gründete er hier die erste „Walter-Serner-Gesellschaft“, der sich wenig später auch Hannes Cobbers anschloss. Walter Serner, ein lange vergessener Schriftsteller und Essayist, dessen Dada-Manifest „Letzte Lockerung“ damals eine Neuauflage erlebte hatte, bot viel Gesprächsstoff, und gelegentlich war die Tagesordnung der Gesellschafter so umfangreich, dass sie nach der Sperrstunde noch in der nahegelegen „Milli-Bar“ abgearbeitet werden musste. Auffindbare Spuren hat diese Serner-Gesellschaft allerdings kaum hinterlassen. Wie notwendig die Initiative aber dennoch war, zeigte sich im Jahr 1992, also über ein Jahrzehnt später, als in Berlin der Bundesrichter Andreas Mosbacher seine „Walter-Serner-Gesellschaft“ gründete, die inzwischen über eine ausgezeichnete Homepage verfügt. Der erste Kempener Anlauf scheiterte leider, und es wäre wohl zu einfach, das allein darauf zurückzuführen, dass es um 1980 noch kein Internet gab.
Was das „Muckefuck“ mit der Sparkasse zu tun hat
Von 1975 bis 1982 existierte das „Café Muckefuck“ auf der Judenstraße. Zu seiner Zeit war es eine Institution. Hier wurden Informationen ausgetauscht, strittige Themen ebenso strittig diskutiert und Verbindungen geknüpft, die von Dauer waren. Kalla Wefers traf im „Muckefuck“ seine spätere Frau Ulla, Ralf Schmitz lernte hier am 25. Februar 1977 seine Frau Andrea kennen. Und Wolfgang Lochner, damals schon FDP-Stadtrat, entschied im Sommer 1980 nach intensiven Diskussionen an dieser Muckefuck-Theke, sich gegen die scheinbar unabänderlichen Abrisspläne im Grüngürtel zu stellen und einen Abrissstopp für die Villa Weyland, das Haus Dowe und die Kreissparkasse am Viehmarkt zu fordern. Gegen den anfänglichen Widerstand seines Fraktionschefs Heinz Cobbers setzte er diese Linie zuerst in seiner Partei und dann, zumindest was Haus Dowe und die Sparkasse betrifft, erfolgreich auch im Rat durch. „Stadtdirektor Klaus Hülshoff sprach danach eine Zeitlang kein Wort mehr mit mir“, erinnert sich heute der Rechtsanwalt. Denn die Stadt musste einen schon zuvor für den Abriss der Sparkasse erhaltenen und nicht unerheblichen Landeszuschuss zurückzahlen. Doch wer heute, von der Autobahn 44 kommend, nach Kempen einfährt, der weiß, wie unverzichtbar dieses das Stadtbild prägende Gebäude an dieser Stelle ist. Man sieht: Im „Café Muckefuck“ wurden durchaus auch wichtige und bleibende Dinge entschieden.
Text: Sergej Paromkin